Hab nen dummen Fehler gemacht und die Bilder beim letzten Beitrag verwechselt. Wundert euch also nicht, wenn euch ein paar Sachen bekannt vorkommen 🙂
Auf der Matratze schlief es sich super! Fast wie daheim, da hab ich nämlich auch nur eine Matratze.
Ich war also guter Dinge, als ich die Augen öffnete, doch kaum hatte ich mir meine Blasen angesehen, fiel mir alles aus dem Gesicht.
Die blöde Blase am „Ringzeh“, die eigentlich total harmlos gewesen war, pochte rot.
Scheiße, scheiße, scheiße…! Ich sprühte Desinfektionszeug drauf, aber ich befürchtete, dass es zu spät war. Naja, noch war der Schmerz erträglich, also erstmal fertig machen.
Marion ging es übrigens wieder super – hätte ich ja nicht gedacht. Das kann dann eigentlich doch keine Sehnenentzündung gewesen sein, die hätte sie länger außer Gefecht gesetzt. Vielleicht war sie deshalb auch so motiviert, denn sie ging mit Simon und Sarah schon los, während ich noch rauchte und Tee trank.
Vor der Herberge piepste irgendwas, aber es dauerte eine Weile, bis ich draufkam, was es war: Fledermäuse, die hinter dem Herbergenschild nisteten! Die letzten flogen gerade heim, weil es langsam hell wurde. Fledermäuse sind ja cool, deshalb beschloss ich, das als gutes Zeichen zu sehen.
Über die berühmte Brücke, die Puente la Reina seinen Namen gibt, verließ ich die Stadt. Danach wurde es schnell ziemlich steil. Kaum hell und schon läuft mir die Brühe! Unglaublich, aber irgendwie auch ganz angenehm so früh morgens.
Puente la Reina
Das nächste Dorf, Mañeru, war schnell erreicht und dort holte ich auch Marion und Sarah wieder ein. Beide waren genauso schweißgebadet wie ich. „Das war jetzt mal Cardio,“ meinte ich zu Sarah, aber die antwortete nur, dass sie auf Cardio nicht steht.
Nach einer kurzen Trinkpause gingen wir zusammen weiter, aber schon am Ortsende hängte ich sie ab. Inzwischen puckerte die rote Blase ziemlich, aber irgendwie tat es weniger weh, wenn ich schneller ging. Keine Ahnung woran das liegt, aber das kennt man ja. Vielleicht können die Nerven nicht so viele Schmerzimpulse auf einmal senden und geben irgendwann auf, wenn sie zu sehr überreizt werden.
Jedenfalls stampfte ich dumpf weiter, gefangen in meiner Schmerzwolke, bis Cirauqui, das nächste Dorf, in Sicht kam. Dort hatte sich alles um eine Bäckerei versammelt und auch Simon traf ich wieder. Ich kaufte mir eine Cola und ein Körnerbrötchen (ein riesen Highlight in Spanien!), dann besah ich mir meine Blessur.
Diese kleine, blöde Blase strahlte eindeutig Hitze aus und tat bei der geringsten Berührung weh. Ich sprühte sie wieder ein, aber ob das was nützte? Das Desinfektionsmittel hatte ich noch vom letzten Jahr übrig und ewig haltbar ist sowas ja nicht… Aber woher was neues herkriegen? Unser Tagesziel Estella war noch weit.
Ich packte den Scheiß so gut es ging ein, dann nahm ich eine Ibuprofen gegen die Schmerzen. Anders würde ich das nicht überstehen.
Erst jetzt tauchten Marion und Sarah auf, um die ich mir schon Sorgen gemacht hatte, weil es eigentlich unmöglich ist, auf einer so kurzen Strecke einen so weiten Vorsprung rauszulaufen, und wirkten etwas angepisst (vielleicht, weil ich sie so stehen gelassen hatte?). Sie wollten auch nichts trinken, sondern direkt wieder weiter, und blieben gerade lange genug stehen, damit ich verkünden konnte, dass wir genau in diesem Dorf nun schon HUNDERT KILOMETER hinter uns hatten. Ihre Reaktion war etwas unterwältigt und auch ich freute mich nicht so, wie man es in Angesicht eines solchen Meilensteins vielleicht sollte.
Ich war wieder allein, als ich losging – langsam, denn mein Fuß tat zu Anfang scheißweh. Aber es lief sich weg, außerdem fing das Ibu an zu wirken.
Trotzdem, auch wenn es jetzt geht… was soll ich machen, wenn das wirklich entzündet ist? Ich habe ja leider schon Erfahrungen mit entzündeten Blasen. Letztes Jahr hatte ich eine an der Ferse, die irgendwann plötzlich so wehgetan hatte, dass ich ins Centro de Salud musste.
Spanien-Fact: In Spanien gibt es überall Centro de Saluds, kleine Notfallkliniken, in denen man nicht nur eine einwandfreie Behandlung bekommt, sondern auch als Deutscher exakt NICHTS bezahlen muss. Tatsächlich hatte ich nicht mal meine Krankenkassenkarte vorlegen müssen. Tatsächlich habe ich nicht mal meinen NAMEN angeben müssen. Wenn das nicht hypersozial ist!!
Der Arzt hat die Blase damals desinfiziert und gut eingepackt, aber ich durfte zwei Tage nicht laufen. Das wäre jetzt echt scheiße! Vor allem schon so früh!
Aber was tun, wenn die Apotheken heute zu sind, weil Sonntag ist? Was kannte ich denn für Hausmittel bei Entzündung? Da fiel mir eigentlich nur Kamille ein.
Hm, Kamille… hatte ich nicht schon öfter Kamille am Wegesrand erspäht? Jetzt war davon natürlich keine Spur. Aber Kamille mag doch einen eher kargen Untergrund, beziehungsweise kommt damit gut klar. Wenn ich etwas Kamille fände, könnte ich davon einen Sud machen und meinen Fuß reinhalten.
Zeit für eine kleine Bitte an das Wesen, an das ich glaube und das ich hier der Einfachheit halber Gott nenne. Lieber Gott, betete ich inbrünstig, ein bisschen Kamille wäre echt megageil.
Uralte Römerbrücke
Einige Stunden wanderte ich allein, während die Hitze immer unerträglicher wurde. Meine Musik half mir sehr, diese kritische Teiletappe zu überstehen. Ich war trotzdem ziemlich schnell unterwegs.
Und während ich so rannte, fand ich plötzlich am Wegrand – Kamille!
Wow – heißen Dank, Herr!
Kurz war ich mir unsicher, weil ich Kamille häufig mit Margeriten verwechsle, aber der Geruch war unverkennbar. Nur wie transportiere ich das jetzt?
Mir fiel mein Schultertuch ein, das sich langsam eher zum Allzwecktuch mauserte, kramte es raus, breitete es aus und schnürte ein Bündel mit Kamillenblüten. Perfekt!
Ich stopfte das Bündel in meine Tasche, glücklich darüber, meinen Wunsch so schnell in Erfüllung gehen zu sehen. „Dafür kommt den ganzen Tag kein böses Wort mehr über meine Lippen,“ dachte ich plötzlich. Hm, wo kam das denn her? Egal, das erschien mir als fairer Deal.
Ich durchquerte ein weiteres Dorf, dann holte ich Simon wieder ein und betrat mit ihm zusammen Villatuerta. Schon von weitem sahen wir die Mädels unter einem Baum sitzen, aber bevor wir sie erreichten, erwartete uns am Wegesrand ein ganz besonderes Highlight.
Der Bub war vielleicht acht Jahre alt und hatte doch tatsächlich einen LIMONADENSTAND.
Ich war völlig von den Socken: So etwas hab ich schon tausendmal in Amifilmen gesehen, aber noch nie in Echt! Überhaupt habe ich noch nie selbstgemachte Limo getrunken! Völlig klar, dass ich das probieren musste.
50 Cent kostete ein kleiner Becher, dazu gab der Bub gewissenhaft noch Eis dazu und reichte ihn mir. Ich gab ihm 70 Cent – das war einfach so toll, da gönnte ich dem Kleinen ein bisschen Trinkgeld.
Er schien das allerdings nicht zu verstehen, denn er zählte das Geld in seiner Hand mehrfach, warf mir schließlich einen verstohlenen Blick zu und ließ es hastig verschwinden. Höhö, supersüß.
Und die Limo schließlich – absolut unglaublich. So etwas deliziöses habe ich noch nie getrunken!
Simon hatte sich auch einen Becher genommen und lieferte mir direkt ein Rezept: Eine unbehandelte Limone auf einem Liter Wasser und ein paar Löffel Rohrzucker komplett pürieren, sieben, fertig. Die Schale gab viel Geschmack ab und so war es dann auch ziemlich günstig. Wird sofort ausprobiert, wenn ich zuhause bin!
Wir gesellten uns zu den Mädels und beobachteten den Bub weiter. Tatsächlich schaffte es kein Pilger, an diesem Goldschätzchen vorbei zu gehen. Jeder nahm sich mindestens ein Glas, dazu verkaufte er noch eingepackte Minimuffins. „Wenn der den ganzen Sommer da sitzt, macht der richtig Kohle,“ meinte Simon. Muss man sich mal vorstellen… Hochsaison, 100 Pilger am Tag Minimum, das sind 50 Euro am Tag, und ich war sicher nicht die Einzige, die ihm ein bisschen mehr Geld gegeben hatte. Den Wareneinsatz übernehmen vermutlich Mami und Papi. Verdammt viel Geld für so einen kleinen Jungen. Vielleicht sparte er ja für ein Rad!
Wir lachten uns dann noch über seinen stolzen Papa kaputt, der aus dem Haus geeilt kam, als die Sonne weiter wanderte, um ihm einen Sonnenschirm aufzustellen, und über seine Mutter, die das Ganze mich hochemotionalen Blick beobachtete. Die dachten wahrscheinlich, der Kleine wäre so, wie er sich dranstellt, auf dem besten Weg zu einem BWL-Abschluss summa cum laude.
Die letzten Kilometer lagen noch vor uns. Wir gingen alle ein bisschen zusammen, doch dann zog ich ab, aber so richtig, und ließ die anderen hinter mir.
Bei keinem meiner bisherigen Caminos war ich bisher so schnell gewesen, im Gegenteil – ich war immer eine der Langsamsten gewesen, die ständig überholt wurde. Jetzt überhole ich selber andere Leute und genieße es total, so zu rennen.
Was ist das nur? Ich bin nicht trainierter als bei meinen anderen Caminos. Die Muskeln vom letzten Jahr sind weg. Kann es sein, dass sich der Körper einfach „erinnert“? Pilgern verlernt man nicht oder was?
So erreichte ich auch als erstes Estella bzw. eine Quelle kurz vor Ortseingang, wo ich auf die anderen wartete. Es war nämlich immer noch nicht geklärt, wo wir unterkommen wollten, da Estella mehrere Herbergen hatte.
Marion wollte unbedingt in eine Herberge am Ortsausgang, die Menüs für 9 Euro anbot. Ich seufzte innerlich. Als gäbe es sowas nicht an jeder verdammten Ecke. Das wiederholte sie noch einige Male, während ich immer gereizter wurde. Ich hatte mehrmals gesagt, dass mir die Herberge scheißegal ist – ich brauche nur eine Küche, um meine Kamille zu kochen. Eine Küche, die diese spezielle Herberge nicht hatte. Und ich wollte NICHT essen gehen. Das kann ich mir einfach nicht jeden Tag leisten und immerhin hatte ich mich tags zuvor schon mitschleppen lassen.
Man sollte meinen, es würde reichen, wenn man so etwas EINMAL sagt, aber nee… ständig hörte ich „Aber die haben Menü für 9 Euro…!“
So gern ich die drei hatte, aber das zeigte mir, dass es Zeit wird, langsam wieder unabhängig zu werden. Diese ständigen unnötigen Diskussionen, gerne schon Stunden vor dem Tagesziel, fingen an, mir auf die Nerven zu gehen, zumal ich offensichtlich wirklich am wenigsten Geld von allen zu haben scheine. Das ist meist keine gute Mischung.
Immer noch uneinig betraten wir Estella und gingen an den ersten beiden Herbergen vorbei. Die öffentliche Herberge lag noch vor uns und ich nahm mir im Stillen vor, dort einzuchecken, völlig egal, was die anderen sagten, deren größtes Problem sowieso das Abendessen zu sein schien.
„Wir brauchen einen Supermarkt!“ meinte Marion, aber wie gesagt – es war Sonntag. Das ist schwierig, aber nicht so komplett unmöglich wie in Deutschland, denn unser Sonntagseinkaufsverbot ist ziemlich einmalig. Deshalb beschloss ich, an der öffentlichen Herberge angekommen mal zu fragen, bevor ich einchecke.
Die anderen warteten, ich betrat die Herberge. „Completo,“ empfing mich die Hospitalera. What, schon voll, obwohl die Herberge fast 100 Plätze hat?! Meine Güte, was war denn los?
Trotzdem konnte ich ja mal nach einem Supermarkt oder einem Lädchen fragen, aber die Hospitalera schüttelte den Kopf. Alles wäre zu, es sei ja Sonntag und außerdem Feiertag.
Feiertag… natürlich. SCHON WIEDER. Aber ist wirklich gar nichts auf?
Die Hospitalera nahm einen Stadtplan und kritzelte mir einige Supermärkte ein. Hm, offensichtlich hatte ich sie falsch verstanden. Sie übergab mir den Stadtplan.
„Also sind diese Supermärkte geöffnet?“ fragte ich hoffnungsvoll.
„Nein, nein, es ist Feiertag, es ist alles zu.“
Ich sah völlig verdattert auf den den Plan. „Aber… hier… also, was ist das denn?“
„Eine Tienda, ein Laden. Der ist nur ein paar Minuten von hier.“
„Ja, äh, aber… ist der jetzt zu?“
„Ja, ja.“
„Äh, Siesta? Macht der wieder auf?“
„Nein, es ist ja Feiertag, da ist alles zu.“
Ich sah wieder auf den Plan, dann die Hospitalera an. Mir lag die Frage auf der Zunge, warum zur Hölle sie mir den Weg zu Supermärkten zeigt, wenn eh alles zu ist – ich hatte immerhin NICHT vor, hier länger zu bleiben!! – aber dann gab ich entkräftet auf und ging.
Draußen empfingen mich die anderen und wollten ein Ergebnis erfahren. Ich atmete tief durch. „Also, ich habe heute geschworen, nichts böses zu sagen…“ Nochmal nahm ich tief Luft. Ach, meine Fresse! „Aber das war grade das vielleicht DÜMMSTE Gespräch, was ich auf diesem Camino bisher geführt habe!!!“
Es folgten ein ähnlich harscher Kurzbericht über diese saublöde Hospitalera, gefolgt von einem verzweifelten Blick gen Himmel. „Tut mir leid…!“
So typisch, ey. Da verspreche ich es hoch und heilig und schaffe es trotzdem gerade mal fünf Minuten, die Fassung zu bewahren. Meine Güte, bin ich scheiße!!
Die anderen machten es mir aber auch nicht gerade leicht. Ich hatte gesagt, dass die große öffentliche Herberge voll ist. Dennoch wollte Marion jetzt unbedingt weiter einen Supermarkt suchen. „Ich gehe nicht einen Supermarkt suchen, wenn ich noch kein Bett habe!“ erwiderte ich etwas heftig, aber Mann, ist doch wahr, warum soll man mit dem schweren Rucksack durch die Stadt rennen, wenn sowieso gerade Siesta war?
Der Ton schien schließlich zu überzeugen. Sarah setzte ihren Plan um, noch weiter zu gehen, damit waren wir nur noch die dritt. Es ging zurück zu einer der Herbergen, die schon hinter uns lagen.
Unsere erste Adresse hieß „Anfas“, eine Herberge, in der geistig Behinderte mitarbeiten. Einer der Helfer kam sofort angerannt und überreichte uns Wasser, was extrem nett war, aber von außen sah die Herberge trotzdem nach nicht viel aus. 34 Betten in einem Schlafsaal… gut, sowas hatte ich schon vorher erlebt. Marion stand aber das nackte Entsetzen aufs Gesicht geschrieben. „Hier werden wir keine gute Nacht haben,“ murmelte sie Simon zu. Ich ignorierte das geflissentlich und checkte ein. Kurz schien es, als wollten beide weiter suchen, aber Simon war von dem Konzept der Herberge sehr überzeugt und damit blieb auch Marion.
Es folge das Standardprogramm: Waschen, duschen… dann gingen wir auf die Suche nach was essbaren.
Wir waren kaum fünf Minuten in die Stadt reingerannt, da fanden wir eine offene Bäckerei, die auch genug Zutaten für eine leckere Pasta bot. Na also. War ja sowas von klar gewesen.
Später erfuhren wir dann auch den Grund für den Feiertag: Eine große Fiesta in der Stadt. Einige andere Pilger fragten uns, ob wir mitgehen wollten, denn es gäbe für günstiges Geld Hähnchen, was sich ziemlich geil anhörte, aber wir hatten nun ja schon gegessen. Simon und Marion gingen sich trotzdem alles ansehen, während ich meinen Fuß in meinen Kamillensud hielt. Anfühlen tat es sich schon mal gut, ob es auch wirkte, würde ich morgen sehen.
Morgen! Da sollte ein Stiertreiben stattfinden, 8 Uhr morgens. Das wäre ja mal was, sowas muss man sich eigentlich ansehen! Aber ganz schön spät für Pilger…
Trotzdem beschlossen Simon und ich, uns diese Gelegenheit nicht entgehen zu lassen. Damit wurde der Wecker auf 7 Uhr gestellt, als uns der sehr strenge Hospitalero um fünf Minuten nach 10 in die Betten scheuchte.
Tatsächlich herrschte dann auch direkt Stille. Früh ins Bett, spät (okay, „spät“) aufstehen – da konnte die nächste Etappe ja nur gerockt werden!
Stimmung: Enttäuscht von mir selbst, im Vertrauen auf göttliche Güte!
Der „Du gehst in DEN Schuhen“-Ticker: 6 (+0)
Kosten
1,80 Brötchen + Cola
0,70 selbstgemachte Limo
7,00 Herberge
4,55 Zigaretten
1,10 Muffin
2,30 Pasta (gekocht, Kosten geteilt)
= 17,35€
6. Etappe
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